Wir trafen uns abends dort, um gemeinsam einmal Judo an seinem Geburtsort zu trainieren und wurden im Büro in die Örtlichkeiten eingewiesen. Mit einer Wegbeschreibung des Gebäudes und einem Zettel mit Dojoettiketten in der Hand machten wir uns auf den Weg zur Umkleide. Der Herr der uns genau zeigen wollte, wohin wir gehören hatte dann auch das gleiche Problem wie schon die Angestellte im Büro. Nämlich welche Graduierung wir haben.
Hier muss ich folgendes ausführen: Schon in einem Schwertladen in Kyoto war mir aufgefallen, dass es die Bezeichnung Jiu Jitsu / Jujutsu in Japan so nicht gibt. Jiu Jitsu / Jujitsu ist immer ein Bestandteil einer ganzheitlichen Kriegskunstschule (Bujutsu ryu ), oder es wird als ein System unter dem Namen eines bestimmten Stils, wie zum Beispiel dem Daito ryu ausgeübt. Auch alte Bezeichnungen wie Yawara kommen vor, nicht jedoch Jiu Jitsu / Jujutsu.
Obwohl ich mich schon sehr lange mit Geschichte und Philosophie der Kampfkünste Japans befasse, und schon 25 Jahre Kampfsport betreibe, war mir bis zu diesem Tag nicht bewusst, dass die Japaner selber keine Kunst mit der Bezeichnung Jiu Jitsu/Jujutsu haben. Wir mussten also erklären, dass es in Deutschland und im Rest der Welt ein solches System gibt was auch verstanden und akzeptiert wurde. Man fragte uns noch nach unseren Judo Erfahrungen in Jahren, was wieder nicht einfach war. Habe ich doch immer nur Jiu Jitsu / Jujutsu trainiert. Letztendlich einigten wir uns dann darauf unsere Dangrade anzugeben mit dem Hinweis dass diese keine Judograde sind.
Wir wurden nun also zu den Umkleiden geführt und nachdem wir umgezogen waren gingen wir in den siebten Stock, ins Hauptdojo. In dem Dojo auf den Etagen die wir passierten war es überwiegend dunkel und leer. Nur einzelne, ältere Herren übten sich in Kata. Im Hauptdojo angekommen führten wir am Eingang Rei aus und begaben uns zu einer Bank am Rande der Matte. Zu uns hatte sich noch ein kanadischer Judoka gesellt und gemeinsam warteten wir auf den Beginn des Trainings. Die Matte ist in vier Kampfflächen aufgeteilt, die sich eine Kinder- und eine Anfängergruppe teilten. Wir waren, da wir keine Gruppe waren, in die Randorigruppe des Kodokan zugeordnet. Nach und nach trafen immer mehr Meister ein und diese machten sich sofort selbstständig warm, oder standen zusammen und plauderten leise miteinander. Um achtzehn Uhr begann das Training, allerdings änderte sich die Situation nicht. Alle machten weiter ihre eigenen Aufwärmübungen und niemand nahm von uns Notiz. Als klar war, dass sich niemand um uns kümmern würde, begannen Thomas und ich es den anderen gleichzutun, und wärmten und dehnten uns. Das ging so eine gute halbe Stunde und inzwischen schienen auch alle so langsam da zu sein. Außer uns waren noch vier Nichtjapaner anwesend, wie wir erfuhren - Leute die in Tokio leben und arbeiten. Man fing nun allgemein damit an sich einen Partner zu wählen und Wurfeingänge zu üben. Wir taten es ihnen gleich. Außer einer Gruppe die sich in einer Ecke eine Kata ansah, übten alle Wurfeingänge. Bei den meisten Anwesenden handelte es sich um ältere Herren, teilweise schon in Richtung „sehr hohes Alter“. Junge Männer waren die Ausnahme und leicht zu zählen. Bei einer Gruppe von circa vierzig Leuten waren keine zehn unter vierzig Jahren. Zwischen den Übungen setze man sich immer mal wieder hin, dehnte sich, plauderte, oder suchte sich einen neuen Partner. Einer der Japaner ein Meister mittleren Alters, grüßte nun Thomas an und begann mit ihm Wurfeingänge. Ich saß derweil am Mattenrand und wusste nicht so recht was ich tun könnte. Einen der alten Meister angrüßen? Nein, erst einmal warten was kommt. Ich brauchte aber nicht lange warten, denn einer der jungen Wettkämpfer, er trug seinen Namen auf dem Rücken, kam zu mir und grüßte mich an. Er gab mir zu verstehen, dass er mit mir kämpfen wollte und ich sagte zu. Ihm zu erklären, dass ich mit den Wettkampfregeln des Judo nicht vertraut bin war aber nicht möglich, da er wie die meisten kein Englisch sprach. Aber auf der Matte geht es ja bekanntlich auch mit nonverbaler Konversation ganz gut, und so begannen wir zu kämpfen. Ich hielt mich ganz gut, solange ich mich darauf konzentrierte nicht geworfen zu werden. Sobald ich aber auch nur den Gedanken an einen Wurf verschwendete hatte mein Gegner das erkannt, und mich blitzschnell – gekontert kann man ja nicht sagen, ich hatte ja kaum angesetzt- geworfen. Auf jeden Fall fand ich mich immer ziemlich schnell auf der Matte wieder. Ich muss zugeben, dass ich gegen diesen jungen Mann keine Chance hatte. Wieder zu Hause in Deutschland habe ich mir von Judokas, die auch schon mal im Kodokan waren sagen lassen, dass es aber keine Schande sei dort zu verlieren. Nach einiger Zeit des Kämpfens, die mir ziemlich lang vorkam, und mich auf jeden Fall sehr angestrengt hatte, hatte ich dann auch genug. Mein Gegner allerdings, so war mein Eindruck, hätte gerne noch ein bisschen weiter gemacht. Wir grüßten uns ab, und ich gesellte mich noch zu einer Gruppe, die sich Koshiki no Kata ansahen. Eine Kata, die ich vielleicht selber noch lernen muss. Thomas und ich verließen den Kodokan dann irgendwann, zufrieden da gewesen zu sein und auch alles gegeben zu haben. Wir waren freundlich aufgenommen worden, und niemand hatte sich daran gestört, dass wir offensichtlich keine Judoka waren. Der Besuch im Kodokan war eine Erfahrung, die ich jedem Judo / Jiu Jitsuka der einmal nach Tokio kommt, nur empfehlen kann.
(Schule für Kampfkunst Wuppertal e.V.)
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